16. Dezember
In einem der Türchen von Oma Bettys Adventskalender war eine prächtige Schneelandschaft zu sehen. Ich warte auch sehnsüchtig auf Schnee, gern meterweise hoch, oder besser doch nicht?
Egal, auf jeden Fall hatte Oma wieder eine Geschichte zum Schnee anzubieten, doch lest/oder hört selbst!
Jonas und das Schneechen
In der Nacht hatte es endlich geschneit. Jonas merkte es schon beim Aufwachen, denn es war viel heller im Zimmer als sonst.
„Lisa“, flüsterte Jonas. „Lisa, wach auf, ich glaube, es hat geschneit!“
„Dann schau erstmal nach, bevor du mich weckst, du kleine Nervensäge!“, murmelte Lisa und drehte sich auf die andere Seite, wobei sie ihre Bettdecke über den Kopf zog.
Jonas tappte mit nackten Füßen zum Fenster, kletterte auf den Stuhl, der davorstand und schaute hinaus.
„Yippie! Schnee, jede Menge Schnee!“, rief er begeistert.
„Boah!“, stöhnte Lisa. „Bruder, du nervst! Und jetzt sei leise, du weckst Mama und Papa noch auf.“
Jonas zog seinen Schlafanzug aus, stieg in seine Jeans, schnappte seinen dicken Pulli und die Socken und verließ das Kinderzimmer. Sollte Lisa doch liegenbleiben. Er würde nun jedenfalls sofort raus in den Garten gehen, bevor der Schnee wieder weg war. Man wusste ja nie!
Am Schlafzimmer seiner Eltern schlich er leise vorbei und die vorletzte Treppenstufe ließ er aus, weil sie so knatschte. Dass der Sprung beinahe genauso viel Lärm machte wie das Knatschen hatte er nicht bedacht. Schon hörte er die Stimme seiner Mutter.
„Jonas, was machst du da unten?“
„Ich hole mir was zu trinken, Mama. Schlaf ruhig weiter!“, antwortete er und grinste.
Mama hatte sich wohl auf die andere Seite gedreht, jedenfalls machte sie keine Anstalten aufzustehen. Vorsichtshalber wartete Jonas noch ein Weilchen, bevor er leise die Haustür öffnete und endlich im Garten stand.
War das eine Pracht. Noch völlig unberührt lag eine dicke Schneedecke auf dem Rasen. Jona rieb sich die Hände und fasste dann vergnügt in das kalte Nass. Er formte einen Schneeball und wollte gerade ansetzten, den Ball durch den Schnee zu rollen, um ihn zu vergrößern, als er eine feine Stimme hörte:
„Lass das! Das ist mein Schnee!“
Jonas ließ vor Schreck den Schneeball fallen.
„Bist du verrückt?“, kreischte die Stimme nun lauter. „Zuerst klaust du meinen Schnee und dann schüttest du mich damit zu! Hilf mir sofort wieder hier raus!“
Jonas bückte sich und versuchte, den Schnee, den er gerade hinuntergeworfen hatte, wieder aufzunehmen und was kam darunter zum Vorschein? Nichts! Jedenfalls war nichts zu sehen und trotzdem schimpfte dieses ‚Nichts‘ laut weiter.
„Guck nicht so blöd!“
Jonas schluckte, dann fragte er vorsichtig: „Wer bist du und wo bist du? Ich sehe dich nicht!“
Die Stimme kicherte. „Du musst schon genauer hinschauen, Jonas!“
Jonas ließ sich auf die Knie nieder und blickte konzentriert auf den Schnee und dann sah er in all dem Weiß ein kleines rosa Herzchen, so winzig klein wie die Zuckerherzen auf den Weihnachtsplätzchen. Er streckte die Hand aus, um es aufzunehmen.
„Nicht anfassen!“, kreischte die Stimme. Erschreckt zog Jonas seine Hand zurück, nun hatte er sich so über den Schnee gefreut und jetzt durfte er ihn nicht anfassen. So gern hätte er einen Schneemann gebaut.
Plötzlich bewegte sich das Herzchen und dann sah Jonas, dass es gar kein Herzchen war, sondern ein winzig kleines Schnäuzchen.
„Siehst du mich nun endlich, Jonas?“
Jonas schaute noch genauer hin und erblickte zwei winzige Äuglein und ja, Augen und Herzschnäuzchen gehörten zu einem Tier mit weißem Fell. Oh, war das niedlich!
„Bist du ein Mäuschen?“, fragte Jonas.
„Nein, bin ich nicht. Rate nochmal!“, sagte das Tierchen vergnügt. Offensichtlich machte es ihm Spaß, das Kind hinzuhalten.
„Bist du vielleicht ein … Schneechen?“, fragte Jonas
„Ein Schneechen? Was soll das denn sein? So ein Unsinn!“, schimpfte das Kleine. „Rate noch einmal, aber wehe, wenn du es nun nicht errätst, dann lasse ich den Schnee schmelzen, jawohl, das mache ich!“
Das wollte Jonas auf keinen Fall, deshalb strengte er sich an und ging in Gedanken alle Tiere durch, die er so kannte und die ein rosa Schnäuzchen haben konnten. Das Tierchen bewegte sich, hüpfte ein wenig vor ihm herum und dabei erkannte Jonas zwei verhältnismäßig lange Ohren. Sein Herz tat einen Hüpfer, denn sofort fiel ihm ein, um was für ein Tier es sich handeln könnte.
„Du bist ein …“, sagte er ganz langsam und dabei betonte er jedes Wort.
„Nun sag schon!“, trieb das Tierchen ihn an.
„Schneehäschen!“, posaunte Jonas aus und grinste.
„Genau!“, rief das Häschen und hüpfte freudig im Kreis. Dabei hinterließ es winzige Spuren im Schnee, Schneehäschenspuren eben.
„Mit wem sprichst du denn da?“, rief Lisa vom Kinderzimmerfenster aus.
„Verrate mich nicht“, flüsterte das Häschen.
„Abgemacht!“, versprach Jonas und dann rief er laut: „Ach, ich führe Selbstgespräche, Lisa. Ich komme jetzt auch ins Haus, es ist ganz schön kalt!“
Sein Erlebnis mit dem Schneehasen hat Jonas für sich behalten. Vermutlich hätte ihm sowieso niemand geglaubt, aber das machte nichts. Er wusste ja, dass er es erlebt hatte und nur das zählte für ihn. Der Schnee blieb eine ganz Woche liegen und wenn Jonas im Garten war, dann bewegte er sich ganz vorsichtig und schaute bei jedem Schritt, ob er nicht aus Versehen auf ein rosa Herzchen trat.
Später hat Jonas die Geschichte aufgeschrieben, sonst könnte ich sie ja jetzt nicht erzählen, nicht wahr?