Oma Betty und der Giraffenhals
„Das darf doch wohl nicht wahr sein!“, schimpft Oma Betty. Diesen Spruch kenne ich und ich weiß genau, dass da meist etwas Unangenehmes folgt. Heute auch!
„Das zahlt man viel Geld für eine Zahnreinigung und dann das!“ Sie streckt ihre Zunge raus und ich bekomme einen tüchtigen Schreck. Die Zunge ist blau.
„Oh je!“, rufe ich. „Musst du jetzt sterben, Oma?“ Natürlich weiß ich, dass sie nicht sterben muss. Ich wüsste jedenfalls nicht, dass ich schon einmal gehört hätte, dass jemand an der Blauzungenkrankheit gestorben wäre. Aber ich möchte Oma mein höchstes Mitgefühl zukommen lassen. Das ist das Mindeste.
„Nein“, sagt Oma Betty da auch schon. „Sterben muss ich wohl nicht, das Schlimmste, was mir passieren könnte wäre, dass mein Hals wächst und wächst und wächst, wie bei einer Giraffe!“, verkündet sie.
„Häh?“, frage ich. „Wie kommst du darauf?“
„Giraffen haben blaue Zungen!“, sagt Oma. „Wusstest du das nicht?“
„Nö, woher? Ich weiß, dass es Hunde gibt, die blaue Zungen haben. Sie heißen Chow-Chow, oder so. Linos Eltern haben so einen!“, fällt mir ein.
„Ach, die sind niedlich, so kuschlig wie Teddybären, stimmt’s?“, Oma lächelt. Es würde ihr offensichtlich besser gefallen, wenn sie zum Chow-Chow würde.
„Was aber hat die Zahnreinigung damit zu tun?“, will ich nun wissen.
„Ganz einfach: Die Zähne werden eingefärbt, um die Beläge sichtbar zu machen. Danach werden sie dann gereinigt, Zahnstein wird entfernt und anschließend werden sie poliert. Bei mir haben sie wohl die Zunge mit eingefärbt!“
„Ach so! Hattest du denn deine Zähne nicht ordentlich geputzt, Oma? Mich zwingst du jeden Abend, sie zu putzen, bei dir habe ich das aber noch nie gesehen!“, meckere ich. Ist doch ungerecht, aber jetzt habe ich sie ja erwischt!
„Ich putze sogar dreimal am Tag!“, behauptet Oma. „Aber man kommt eben nicht an jede Stelle und da färbt sich dann der Belag blau ein. Hat man das bei dir noch nie gemacht?“
Ich erinnere mich, dass die Zahnärztin bei mir auch schon einmal Farbe auf die Zähne geschmiert hat, die war aber quietschpink. Das verrate ich Oma aber nicht, denn auch bei mir gab es ungesunde Beläge und anschließend ein Donnerwetter von Mama, die meinte, dass es meine Schuld war und ich einfach nicht gründlich genug putzen würde.
„Ach Oma, dein Hals wird nicht wachsen und sicher wirst du auch nicht zum Kuschelhund“, versuche ich sie zu trösten und füge ein ganz leises „Leider“ hinzu. Das hat sie aber nicht gehört, Gott sei Dank!
Am nächsten Tag war dann alles wieder gut und seit gestern putze ich meine Beißerchen wieder etwas intensiver – mal sehen, wie lange das anhält.
© Regina Meier zu Verl